Wiesbadener Kurier:
„Niemand wollte etwas wissen“

Erschie­nen auf www.wiesbadener-kurier.de am 15. Oktober 2010

Von Christina Schultz

INTEGRATION Experten versuchen sich bei der Salongesellschaft am Thema Nummer eins / Desinteresse auch für rückkehrende Deutsche

Nach einer langen Sommerpause von drei Monaten starteten die Salondamen Christiane Nägler und Beate Hiller mit einem brandheißen Thema in die neue Saison. Ohne Musik und Schnickschnack, dafür aber wie immer mit Tee und Butterbroten und angelehnt an die aktuelle Diskussion um das Buch von Thilo Sarrazin versuchten sich geladene Experten am Thema „Migration-Integration, Annäherung an einen Konflikt“. Ulrike Weber, Rektorin der Weingarten Gesamtschule in Kriftel, Hartmud Wemhoener, Pädagoge an der Ludwig-Erhard-Schule in Dotzheim sowie sein Kollege Peter Müller, sozialpädagogischer Betreuer der „SchuB“-Klassen (Lernen und arbeiten und Schule und Betrieb) stellten sich gemeinsam mit Hannah Kilic, einer seit über 24 Jahren in Deutschland lebenden Libanesin, dem brisanten Thema.

Den Fragen nach der Kommunikationsfähigkeit von Migranten, Sprachbarrieren und kulturellen Unterschieden auf die Spur zu kommen, war allen Vortragenden wichtig und doch betonten sie immer wieder: „Wir haben keine Antworten und Lösungen parat, unsere Beiträge erheben keinen Anspruch auf Expertentum“. Man könne nur von Beispielen erzählen, die den eigenen Erfahrungen in Schule und Alltag entspringen. Den durch Sarrazin forcierten kontroversen Dialog über schwierige Fragen zum Thema wolle man aufgreifen und weiterführen. Provokante Aussagen wurden in den Ring geworfen, Beobachtungen, Tendenzen und Strömungen dargelegt und so im Verlauf des Abends rege Diskussionen mit den Gästen angefacht.

Die Pädagogen wissen, wovon sie sprechen. Der Ausländeranteil an der Weingartenschule beträgt 30 Prozent, in der Ludwig-Erhard-Schule, einer Brennpunktschule im Schelmengraben, sogar 80 Prozent. Hier hat man es Tag für Tag mit schwierigsten Situationen zu tun, Jugendliche mit Migrationshintergrund aber auch deutsche Jugendliche seien oft am gegenseitigen Zusammenwachsen, der Annäherung und Finden von Gemeinsamkeiten nicht interessiert.

Ulrike Weber, die ihre Kindheit in Brasilien verbrachte und zweisprachig aufwuchs, erlebte ihre „Einbürgerung“ als deutsches Kind in Deutschland als enttäuschend: „Keiner hat sich für meine kulturelle Prägung im Ausland interessiert. Niemand wollte etwas wissen“. Und daran habe sich auch im Alltag der Migranten nichts geändert. Migration bedeute Wanderung von Individuen, Integration das Eingliedern, die Teilhabe an der neuen Gesellschaft.

Für Teilhabe gekämpft

Dass Hanna Kilic teilhaben kann, ist der ehemaligen Asylbewerberin nur mit absoluter Hartnäckigkeit und Willensstärke gelungen. Sie ist der Prototyp von Integration sowohl sprachlich, beruflich als auch als Frau in der deutschen Gesellschaft. Der Rückzug in die eigene Kultur, die Ausgrenzung von Mädchen, die uninteressierte Haltung von ausländischen Eltern am Schulsystem, die Entstehung von Parallelgesellschaften, stünden den Attacken gegen den Islam gegenüber, der Aufnahme und der Akzeptanz unserer Gesellschaft gegenüber den Einwanderern. Dies sei gleichbedeutend mit Ausgrenzung, meist von muslimischen Migranten, so Kilic. Mit Fremden aus Schweden, Frankreich und Holland sei man dagegen gerne befreundet. Doch die fehlende Integrationsbereitschaft vieler Migranten sei ein wichtiger Aspekt. Bildung beginne mit der Beherrschung der deutschen Sprache. „Lassen Sie uns doch von klassischen Auswanderungsländern wie Kanada und Australien lernen“. Dort würden die Sprachforderungen viel restriktiver gehandhabt.

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